Dienstag, 21. April 2020 – The Lockdown Diaries – Tag 37

Perspektiven nach der Notbremsung

Die lange Antwort auf die Frage der Freiheit

Die letzten Pressekonferenzen der Regierung haben gezeigt, dass die Distanz- und Hygienemassnahmen gewirkt haben. Die Anzahl der Neuinfektionen sinkt deutlich, trotz steigender Anzahl an Tests. Nun werden vorsichtige Lockerungen ins Auge gefasst, und diverse Verwaltungsstellen sind dabei, mit den einzelnen Branchen detaillierte Massnahmenpakete auszuhandeln. Aber was ist eigentlich das konkrete nächste Ziel? Es wird zur Zeit viel über das Wie diskutiert und spekuliert, aber ist konkret klar, wohin wir uns bewegen wollen? Klar, wir wollen den Würgegriff an Wirtschaft und öffentlichem Leben lockern, verhindern, dass es in der Schweiz bald breiten Schichten finanziell schlecht geht. Gleichzeitig soll natürlich verhindert werden, dass die Infiziertenzahlen wieder zunehmen. Das sind alles negativ definierte Ziele, die nicht wirklich Orientierung geben.

Das Ziel der strengen Lockdown-Phase war klar: eine Überlastung unserer medizinischen Infrastruktur zu verhindern. Zu verhindern, dass Ärztinnen und Ärzte triagieren müssen wie im Krieg, entscheiden müssen, wen man behandelt, abhängig von den vermuteten Überlebensschancen. Niemand soll gezwungen sein, solche unmöglichen Entscheidungen zu treffen, schon gar nicht in Friedenszeiten.

Dieser Kelch ist dank unser aller Bemühungen und Solidarität erst einmal an uns vorübergegangen. Aber was sind die nächsten Ziele, auf die wir hinarbeiten, wo jede und jeder sich einbringen kann? Diese nächsten Ziele wurden bisher an den «Points de Presse» nicht konkret kommuniziert. Man kann sie allenfalls nebenbei aus Antworten auf Journalistenfragen herauslesen. Die Formulierung solcher Ziele wäre jedoch ein wichtiger Beitrag zu unserer Motivation in der nächsten Zeit.

Das erste Nahziel scheint zu sein, die Neuinfektionen so zu reduzieren, dass es wieder möglich ist, Infektionsketten zu verfolgen, Erkrankte zu isolieren, und somit die Ausbreitung der Infektion weiter einzudämmen. Daniel Koch nennt am 17.4.2020 eine Schwelle von ca. 100 Neuinfektionen pro Tag und darunter, sofern die Fälle so verteilt sind, dass einzelne Kantone mit der Recherchearbeit nicht überlastet sind. Von diesen 100 Fällen sind wir gar nicht mehr so weit entfernt. Nachdem die Zahl eine Woche lang um 300 pendelte, zeigt die Tendenz nun wieder deutlich nach unten. Auf eine ähnliche Journalistenfrage wollte Herr Mathys vom BAG am 20.4.2020, keinen konkreten Schwellenwert nennen, aber es scheint klar, das dieses nächste Etappenziel nicht mehr so weit entfernt ist.

Das nächste Ziel nach Erreichen dieser Schwelle wäre es also, alle Fälle, wo die Infektion erneut aufflammt, wieder detailliert zu betrachten, Infektionsketten zurückzuverfolgen und zu unterbrechen. Mögliche Kontaktpersonen einer infizierten Person einer Quarantäne zuzuführen, etc. Ein wenig mag das an die Tätigkeit der Feuerwehr nach einem Brand erinnern, wo allfällige Glutnester daran gehindert werden, den Brand aufs neue zu entfachen.

Wenn dies gut gelingt, wird der Zeitpunkt kommen, wo man nicht mehr die gesamte Bevölkerung isolieren muss, wo vielleicht sogar für die Risikogruppe wieder mehr Freiheiten gewonnen werden. Voraussetzungen sind, dass die Dunkelziffer z.B. durch breit angelegtes Testen möglichst reduziert wird, und dass die Bewegung grösserer Menschengruppen über gewisse Distanzen unter Kontrolle bleiben. Dazu gehört auch, dass die Grenzen weiterhin überwacht werden. Mit Ländern, welche auf diesem Weg auf einem ähnlichen Niveau angelangt sind, können wir vielleicht eine Verminderung der Hürden auf der Basis objektiver Kriterien vereinbaren.

Es wäre denkbar, dass wir diesen Zustand relativer Normalität erreichen, bevor ein Impfstoff zur Verfügung steht. Natürlich müssen wir weiterhin vorsichtig sein, aber viele, welche das gegenwärtige Leben als bedrückend empfinden, könnten etwas aufatmen.

Daraus ergeben sich ein paar konkrete Anhaltspunkte über die weiteren Schritte, welche eine positive Motivation enthalten: Durch eine gemeinsame Anstrengung erkämpfen wir einen Teil unserer Handlungsfreiheit zurück:

  • Wir gehen jetzt nicht von der Bremse. Lockerungen werden durch sinnvolle Schutzmassnahmen kompensiert.
  • Es wäre denkbar, die kantonalen Stellen bei der Recherchearbeit zu unterstützen. Das wäre gut investiertes Geld, wenn es die Phase der Lähmung abkürzt. Daraus ergäbe sich auch eine sinnvolle Beschäftigung und eine Verdienstmöglichkeit für Leute, welche durch die Krise zur Untätigkeit gezwungen sind. Es gäbe in diesem Zusammenhang noch die viel besungene App, aber wahrscheinlich kann diese nur ein Teil des Gesamt-Efforts sein.
  • Wir unterstützen andere Länder auf diesem Weg, um eher wieder zu einem freieren Austausch zu kommen. Auf diesen sind wir als Exportnation nämlich angewiesen.

Kreative Köpfe kommen bestimmt auf noch viel bessere Ideen. Wichtig bleibt, dass wir nur mit gemeinsamen Anstrengungen aus dieser Situation herauskommen.

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